Sigrun Mittl, Dipl.-Biol., www.bienen-dialoge.de, Fürth, Mai 2017
1. Die Westliche Honigbiene (Apis mellifera) als Wildtier und als verwilderte Honigbiene
Heute ist nur noch wenigen Menschen bekannt, dass die Honigbiene einst wild in unseren Wäldern gelebt hat: Ruttner (1992) hat diese Tatsache sehr klar formuliert: „Wie töricht erscheint angesichts dieser Vorgeschichte die Diskussion darüber, ob die Honigbiene ein Element der heimischen Fauna sei (…)! Genauso wie edle Laubgehölze – Linde, Wildkirsche und Eiche – gehört die Honigbiene zur heimischen nacheiszeitlichen Lebensgemeinschaft der ersten Stunde (…)“. [1] Wissenschaft und Naturschutz haben die wilden Honigbienen als Bestandteil des Ökosystems Wald leider vollständig aus dem Blick verloren. [2] Dies ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, dass die Basis der gesamten Bienenhaltung und Imkerei die wilden (engl. wild) Honigbienenvölker in den Wäldern waren: „Die Anfänge der Imkerei bestanden vermutlich darin, von einem Bienenvolk bewohnten Abschnitt eines hohlen Baumes aus dem Wald in den Hausgarten zu holen“. [1]
So konnte es geschehen, dass unsere einzige einheimische wilde Honigbiene, die Dunkle Biene Apis mellifera mellifera in Deutschland höchstwahrscheinlich und sozusagen sang- und klanglos ausgestorben ist. [1] Ein Grund hierfür bestand sicherlich in dem damaligen Miteinander von wilden Honigbienen und den von Imkerinnen und Imkern gehaltenen (engl. managed) Bienenvölkern sowie der Tatsache, dass die Zucht der Honigbiene durch die Imker nicht wie bei anderen Tierarten aufgrund des Paarungsverhaltens der Honigbiene in einem kontrollierten Umfeld stattfinden konnte. Im Zuge der Einführung von in Deutschland nicht heimischen Unterarten der Honigbiene, z.B. der Kärntner Biene, Apis mellifera carnica, und der Italienischen Biene, Apis mellifera ligustica, erfolgte über Jahrzehnte eine Verkreuzung (Hybridisierung) der heimischen Bestände und im Folgenden die Verdrängung der Dunklen Biene. [3] [4] Die Honigbiene, mit der wir heute überwiegend imkern, nennen wir umgangssprachlich „Landbiene“, eine Mischbiene, die aus Kreuzungen der im 20. Jahrhundert eingeführten Kärntner Biene, der Unterart Apis mellifera carnica, und der Italienischen Biene, der Unterart Apis mellifera ligustica, mit der Dunklen Biene, der Unterart Apis mellifera mellifera und der Zuchtrasse der Buckfast-Biene entstanden ist.
Wir wollen hier kurz auf die Begrifflichkeiten genauer eingehen. Wilde (engl. wild) Honigbienen sind nach der Definition der Europäischen Roten Liste der Bienen (Stand 2014) ausschließlich die ursprünglich einheimischen Honigbienen-Unterarten. [4] In Deutschland ist das die Europäische Dunkle Biene, Apis mellifera mellifera. Wilde Honigbienen (Umgangsprachlich nennen wir sie mal die „Wilde Dunkle“) summten wahrscheinlich bis vor ca. 100 Jahren in Deutschlands Wäldern. Die aus Imkerhand entkommenen und wild in der Natur überlebenden Honigbienenvölker werden in der Wissenschaft als „verwilderte Honigbienen“ (engl. feral) bezeichnet. [4] Wenn wir also heute in Deutschland umgangssprachlich, aber falsch [4], von wilden Honigbienenvölkern reden, so sind zwar wild lebende, aber mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht wilde, sondern eben verwilderte Völker gemeint, Schwärme von bewirtschafteten Bienenvölkern, die dem Imker als Schwarm entwischt und in freier Wildbahn zu überleben versuchen. Nennen wir sie mal umgangssprachlich „Verwilderte Landbiene“. So haben wir zwei wild lebende Honigbienen vor uns, die wilde Dunkle, die wohl ausgestorben ist und die verwilderte Landbiene, z.B. in den Höhlen von Bäumen.
Wilde Honigbienenvölker | Wild Honeybee-Colonies |
Verwilderte Honigbienenvölker | Feral Honeybee-Colonies |
In Imkerhand bewirtschaftete Honig- bienenvölker |
Managed Honeybee-Colonies |
Tabelle 1: Definition wilde, verwilderte und bewirtschaftete Honigbienenvölker
2. Letzte Berichte von wild lebenden Honigbienen
Von den letzten verwilderten Honigbienen im Reichswald berichtet F. K. Stoeckhert (1933): „Die Zahl der im Wald lebenden wilden Bienenvölker ist in Franken heute nur noch gering. Unsere neuzeitliche Forstwirtschaft mit ihrer geregelten Umtriebszeit und systematischen Entfernung hohler Bäume hat die Waldbiene ihrer wichtigsten Nistgelegenheit beraubt, so dass sie wie auch andere Arten unserer Tierwelt mehr und mehr verschwinden musste. Die Völker, die heute noch vereinzelt und vorübergehend im Wald anzutreffen sind, sind stets auf entwichene Schwärme zurückzuführen, welche verwildert sind“. [5] 1954 korrigiert er die Zahlen: „Die Zahl der im Walde lebenden Bienenvölker scheint doch größer zu sein, als man gewöhnlich annimmt. Sie entziehen sich nur allzu leicht der Beobachtung; denn die Fluglöcher liegen vielfach in der Laubkrone versteckt sehr hoch über dem Erdboden. So fand ich im „Eichenwald“ zu Erlangen unter einer großen Eiche wiederholt kleine Wabenstücke und Bienenleichen, ohne dass ich die Lage des Stockes feststellen konnte. Im Nürnberger Reichswald, dem klassischen Gebiet des fränkischen Zeidelwesens, beobachtete ENSLIN (brfl.) [ein befreundeter Kollege; Anmerk. der Verfasserin] an verschiedenen Orten mehrere Jahre hindurch Völker, die sich in alten Eichen angesiedelt hatten. (…) Zweifellos ist aber die Zahl der Waldbienenvölker heute doch viel geringer als im Mittelalter, wo sie Jahrhunderte hindurch die Grundlage für das blühende Zeidelwesen bildeten“. [6]
Ruppertshofen (1982) erinnert an die wichtige Bedeutung der Höhlen in den Bäumen: „In unseren Urwäldern waren Naturhöhlen vielfach in Eichen zu finden. Sie bildeten sich dort, wo ein Trockenast ausfiel, wo Wassertöpfe im Baum entstanden. Die Spechte waren Baumeister solcher Höhlen, die dann auch von Eulen und Käuzen, Meisenarten, Trauerfliegenschnäppern, Gartenrotschwänzen, Kleibern, Staren, Wendehals und Wiedehopf bewohnt wurden. Im lebenden Baum hat eine Höhle eine lange Bestandsdauer. Dort, wo Bienen einziehen, ist durch die Austapezierung mit Kittharz eine fast unendliche Haltbarkeit gegeben“. [7]
3. Und heute? Varroaresistente und varroatolerante verwilderte Honigbienen – Der Nachweis ist erbracht
Weltweit werden Bienenvölker beobachtet, die ohne jegliche Behandlung und ohne Zuckerfütterung überleben. Es handelt sich entweder um verwilderte Honigbienen in Wäldern oder Mauerritzen oder um Völker auf aufgelassenen Bienenständen. Sie unterlagen der natürlichen Selektion und haben nach anfänglichen hohen Verlusten ein Gleichgewicht in Form von stabilen Populationen aufgebaut. [8] [9] [10] [11] [12] [13]
Aktuelle Studien, die weltweit an varroaresistenten oder varroatoleranten wild lebenden Honigbienenvölkern durchgeführt wurden, liefern wertvolle Erkenntnisse über die möglichen Ursachen der heutigen Krise in der Imkerei und der immer anfälligeren Bienen. Barbara Locke [9] von der Swedish University for Agricultural Sciences hat 2015 alle diese Studien ausgewertet und kam zu sehr interessanten und folgenreichen Schlüssen, die ich an dieser Stelle zusammenfassen möchte:
- Weltweit lassen sich varroaresistente Honigbienenpopulationen nachweisen, d.h. die Honigbiene (Apis mellifera) hat weltweit das Potential, varroaresistent zu sein/zu werden
- Alle varroaresistenten Bienenpopulationen, die weltweit untersucht wurden, werden überhaupt nicht oder nur wenig intensiv von Imkern betreut
- Die Verbreitung der Bienenkrankheiten und –parasiten wird durch intensive Bienenhaltungsmethoden erleichtert (siehe dazu: Fries et Camazine, 2001 [14])
- Die koevolutionäre Anpassung der Europäischen Honigbiene – wie sie durch natürliche Selektion ermöglicht wird – an die Varroa, wie sie für die Asiatische Honigbiene Apis cerana nachgewiesen wurde, wurde durch die Varroa-Bekämpfungsmethoden der Imker verhindert, wodurch der Selektionsdruck, der für eine solche natürliche Anpassung notwendig ist, sozusagen ausgeschaltet wurde
- All die untersuchten varroaresistenten Honigbienenpopulationen haben hohen natürlichen Varroadruck erfahren, wodurch ihnen die Chance zu natürlichen Anpassungen gegeben wurde, da sie frei von den Einflüssen der typischen Imker-Praktiken waren
- Eine der möglichen Anpassungen an die Milbe stellt die Verkleinerung des Bienenvolkes dar (weniger Bienenmasse durch häufigeres Schwärmen), die für die varroaresistenten Populationen in Schweden, USA und Brasilien nachgewiesen wurde. Diese wird durch künstliche Selektion in Richtung auf hohen Honigertrag in Imkereien verhindert
- Unnatürlich hohe Völkerdichten in Imkereien führen zu höherer Re-Invasion von Milben und erhöhter Verbreitung von Krankheiten (siehe dazu: Seeley et Smith, 2015 [15]) (Übersetzung durch die Verfasserin)
In den deutschsprachigen Imkerjournalen hört man von diesen aktuellen Forschungsergebnissen sehr wenig. Aus diesem Grund habe ich die Ergebnisse von Locke ausführlich gewürdigt und möchte ebenso ausführlich aus einer der neuesten Veröffentlichungen von Prof. Seeley et al. [13] zitieren, die den möglichen Ursachen der hohen Bienenverluste in Imkereien weltweit nachgeht. Warum ich das tue? Weil ich denke, dass daraus klar ersichtlich wird, dass und warum wild lebende Honigbienen mit größter Wahrscheinlichkeit gesünder sein müssen. Aber lassen Sie uns das überprüfen:
„Wenn man weiß, dass die wilden Honigbienenvölker, die in und um den Arnot Forest leben, aus eigener Kraft überleben können, dann macht sie das zu attraktiven Subjekten, an denen man untersuchen kann, wie die Honigbienen eine stabile Koexistenz mit ihren Parasiten und Krankheitskeimen erreichen können. Dieses Geheimnis zu lüften ist wichtig, da in der Gegenwart die meisten Imker in Europa und Nordamerika darauf bauen, ihre Bienen mit Antibiotika und Pestiziden zu behandeln. Dieser Ansatz jedoch ist nicht nachhaltig, weil er zur Entwicklung von Resistenzen bei den Parasiten und Krankheitskeimen führt ( [16]), zur Verunreinigung der Honigernte führen kann ( [17]) und negative Auswirkungen auf die Bienen haben kann ( [18]). (…) Deshalb ist es wahrscheinlich, dass, wenn Honigbienenvölker unter natürlichen Bedingungen leben, ihre Parasiten und Krankheitserreger daraufhin selektiert werden, avirulent zu sein, weil das ihre Wirte befähigt, gesund zu bleiben und Schwärme zu produzieren, die gebraucht werden, damit die Parasiten und Keime zu neuen Völkern weitergetragen werden ( [14]; [19]). (…). Der Kontrast zwischen der Stabilität dieser Population von wild lebenden Völkern [im Arnot Forest] und den Rückgängen von bewirtschafteten Völkern deutet an, dass die momentanen Imkermethoden zu den Verlusten der bewirtschafteten Völkern beitragen, vielleicht indem sie die Verbreitung tödlicher Viren, die von virulenten Varroamilben übertragen werden, endlos fortsetzen.“ [13] (Übersetzung durch die Verfasserin)
Daher möchte ich als Naturwissenschaftlerin und Naturimkerin an alle appellieren, ihre Imkermethoden zu überdenken und neue Wege einzuschlagen hin zu varroaresistenten und gesunden Honigbienen. Mein Plädoyer und Argumente für eine artgerechte Honigbienenhaltung und – zucht finden Sie auf www.bienen-dialoge.de. [20]
4. Wild lebende Honigbienen als „Seuchenschleuder“?
Honigbienen wieder in ihr ursprüngliches Ökosystem einzugliedern bzw. zuzulassen, dass Honigbienen frei in der Natur leben dürfen, löst naturgemäß Sorgen und Ängste aus, vor allem die Frage, ob wild lebende Honigbienenvölker „Seuchenschleudern“ höchsten Ranges darstellen und über das Phänomen der Reinvasion behandelte Völker von Imkerinnen und Imker im Umfeld im Spätherbst noch verseuchen und in der Folge töten könnten. Die Ergebnisse der Forscherinnen und Forscher lassen andererseits vermuten, dass das Problem „Seuchenschleuder“ wohl eher gar keines ist. In keinem der Forschungsberichte zu verwildert lebenden und varroaresistenten und -toleranten Bienenvölkern wird die Sorge „Seuchenschleuder“ thematisiert oder gar die Forderung erhoben, diese Völker deshalb zu vernichten. Im Gegenteil.
Sogar Prof. Ruttner, der als einer der ersten die Wirkung der Ameisensäure gegen die Varroamilbe erforschte, sich also des Problems der Seuchen deutlich bewusst war, schrieb 1992: „Denn zum einen fehlen in den Forsten hohle Bäume, die man durch Nistkästen ersetzen muss (…)“ und weiter: „Auch die europäischen Hausbienen des ausgehenden 20. Jahrhunderts können ohne Schwierigkeit – wild- in hohlen Bäumen überleben, sofern ihnen nicht durch Veränderung der Vegetation die Nahrungsgrundlagen entzogen wurde“. [1]
Die Forschung zeigt, dass Völker, die der natürlichen Selektion unterworfen sind, entweder sehr schnell sterben oder sehr schnell Strategien für ihr langfristiges Überleben entwickeln. Am Beispiel der Amerikanischen Faulbrut (AFB) möchte ich kurz auf den Vergleich AFB in Imkervölkern und in verwilderten Völkern eingehen.
Was die Amerikanische Faulbrut anbelangt, so konnten schwedische Forscherinnen und Forscher belegen, dass die Mikroflora wild lebender (wohl verwilderter) Honigbienen, die mit ihnen vergesellschaftet sind und im Bienenstock wie auch in Honigmagen und Darm nachgewiesen wurden, in der Lage sind, die Bakterien zu 100% abzutöten. Dies wurde sowohl im Labor (in vitro) wie auch in Versuchen mit lebenden Bienen (in vivo) getestet. [21]
Untersuchungen zur Amerikanischen Faulbrut, die an Völkern in Imkerhand wie auch an verwilderten durchgeführt werden, weisen alle darauf hin, dass die Gefahr eines Ausbruchs der Krankheit mehr bei den Imkerbienen als bei den in freier Natur lebenden Honigbienenvölkern zu erwarten ist. [22]
Goodwin et al. (1994) trugen interessante Ergebnisse über AFB und verwilderte Honigbienenvölker zusammen: Forscher fanden in einer Studie (1993) in Neuseeland heraus, dass in 12,5 % der Bienenvölker in Imkerhand (Imker mit weniger als 50 Völker) Faulbrutsporen vorhanden waren. In einer darauffolgenden Studie wollten sie die Sporenlast in verwilderten Völkern untersuchen, verbunden mit der Frage, ob diese die Krankheit in von Imkern betreute Völker übertragen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass nahezu alle untersuchten wild lebenden Völker frei von AFB sind und die, die Sporen aufweisen (6,4% von 109 Völkern), nur eine niedrige Sporenladung aufweisen ganz im Gegensatz zu den untersuchten Völkern in Imkerhand, was sie zu folgender Aussage bringt: „Vielleicht haben die verwilderten Völker ein größeres Risiko, sich mit AFB von Völkern in Imkerhand zu infizieren, als es andersherum der Fall ist“ und „Das geringe Vorhandensein dieser Krankheit in verwilderten Völkern deutet darauf hin, dass ein Großteil der AFB-Fälle, die von den beimkerten Völkern berichtet werden, auf die Imkertechniken zurückzuführen sind anstatt auf die Überkreuz-Kontamination von verwilderten Völkern“. [23] (Übersetzung durch die Verfasserin).
Hornitzky et al. (1996) waren an denselben Fragen interessiert wie Goodwin et al., nur dass sie in Australien forschten und auch Schwärme in den Blick nahmen. Sie kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Von 60 verwilderten Völkern enthielt nur 1 Volk Sporen von AFB und dieses Volk lebte in der Nähe von Imker-Völkern. Alle anderen 59 Völker lebten weit von Imker-Völkern entfernt, was sie zu der Aussage bringt, „…dass die Populationen der verwilderten Honigbienen ein unwahrscheinliches Reservoir von AFB für Bienen in Beuten darstellt“. [24] (Übersetzung durch die Verfasserin)
Ich habe 2016 einen Review-Artikel zu dem Thema „Wild lebende und gemanagte Honigbienen und die Amerikanische Faulbrut – heute und damals“ auf meiner Seite www.bienen-dialoge.de veröffentlicht. Das Fazit: Wild lebende Honigbienenvölker sind nicht als Seuchenschleuder zu betrachten. [22] Wie ich in weiteren Artikeln (ca. 2019) zeigen werde, scheint diese Tendenz auch für die Krankheitserreger Flügeldeformationsvirus und Nosema zu gelten.
Worin liegen die Gründe für diese Ergebnisse, wonach wild lebende Honigbienen gesünder sind als Honigbienen in Imkerhand? Ich möchte nur zwei ForscherInnen zu Wort kommen lassen:
In der Natur sind nach Seeley [15] [12] die wild lebenden Honigbienenvölker so weit voneinander entfernt, dass es zu keiner horizontalen Transmission (Übertragung, Verbreitung) von Krankheitskeimen kommt. Im Durchschnitt sind die Völker mindestens 700 m voneinander entfernt. Im Arnot-Forest fand sich also 1 Honigbienenvolk pro km².
Genersch (2010) kommt im Hinblick auf die Gefahr des Ausbruchs und der Verbreitung der Amerikanischen Faulbrut zu ähnlichen Schlussfolgerungen: „Unter normalen Imkerpraxis-Bedingungen ist die AFB hoch ansteckend, seit die Verbreitung der Krankheit durch das Austauschen von Beuten und Bienenmaterial zwischen Völkern, durch das Bewirtschaften zahlreicher Beuten in begrenzten Gebieten und durch den Handeln von Königinnen, Völkern („Paket-Bienen“) und Honig erleichtert wird“. [25] (Übersetzung durch die Verfasserin)
5. Kartierung wild lebender Honigbienen
Die wilde einheimische Honigbiene ist wahrscheinlich ausgestorben. Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe des behördlichen Naturschutzes, den Status von Apis mellifera mellifera durch Kartierungen festzustellen und eine Einordnung in die Roten Listen des Bundes wie der Länder vorzunehmen. [26] [2]
Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch in Deutschland verwilderte Honigbienenvölker der Art Apis mellifera leben, die infolge der natürlichen Selektion varroatolerant und/oder varroaresistent sind. Nachtrag 2018: Zwei Forscher der Uni Würzburg haben untersucht, ob sich in Wäldern in Deutschland verwilderte Honigbienenvölker finden lassen und waren erfolgreich. [27] Weitere Untersuchungen sollten durchgeführt werden, um den Gesundheitszustand dieser Völker zu dokumentieren.
In Deutschland ist über wild lebende Honigbienen so gut wie nichts bekannt. Daher brauchen wir eine Kartierung dieser Völker, welche neben der immensen Bedeutung für die Imkerschaft auch für die Themen Biodiversität und Forschung sehr wichtig ist.
Nachtrag 2018: Sebastian Roth hat ein Citizen-Science-Projekt entwickelt und 2018 eine Datenbank aufgebaut, so dass die interessierte Bevölkerung mit Hilfe eines online- bzw. offline-Formblattes das Vorhandensein eines wild lebenden Honigbienenvolkes melden kann.
Wenn Sie möchten, schicken Sie auch mir unter info@bienen-dialoge.de parallel eine Fundmeldung mit ihren persönlichen Daten. Aus Datenschutzgründen werde ich nicht über diese informiert und könnte mich nicht an Sie wenden, um evtl. mehr über diese Völker zu erfahren. Darüber würde ich mich sehr freuen.
So wird die Anregung, die ich im Februar 2016 in der ersten Fassung meiner Projektidee „Deutschlands Bienengarten“ vorgeschlagen habe, nun Wirklichkeit:
„Wild lebende Bienenvölker: Erstellung von Bestandskarten und einer Baumkartei für heute schon im Reichswald wild lebende Honigbienen. Diese Völker werden nicht bewirtschaftet und stehen für die Bienenforschung zur Verfügung. Die Erholungssuchenden werden gebeten, gesichtete Völker zu melden. Die Bestandsentwicklung wird dokumentiert.“ [26] [28]
6. Wild lebende Honigbienen als Genschatz?!
Aus all den Untersuchungen, die ich zusammengetragen und ausgewertet habe, lässt sich klar eine Tendenz ableiten: Wild lebende Honigbienenvölker werden zu Unrecht als „Seuchenschleuder“ bezeichnet. Im Gegenteil: sie werden von der Wissenschaft sogar als Genschatz bezeichnet. Le Conte et al. (2007) schreiben wörtlich: „Diese Bienen könnten im Rahmen des integrierten Bienenmanagements in Frankreich von hohem Nutzen werden“. [11] Könnte das nicht auch für Deutschland wichtig sein? Es scheint sogar so, dass Honigbienenvölker in Imkerhand dieses Prädikat „Seuchenschleuder“ eher verdienen könnten. Weitere Forschungen, die Aufschluss über die Belastung von verwilderten und gemanagten Völkern mit Krankheitserregern aller Art bringen, sind dringend notwendig, um die bislang ablehnende Haltung gegenüber wild lebenden Honigbienenvölkern (hoffentlich) revidieren zu können. Ich denke, die Imkerschaft würde sehr froh darüber sein, wenn sich herausstellte, dass auch in Deutschland in freier Wildbahn mittlerweile vermutlich varroaresistente oder –tolerante Honigbienen leben. Sollte es in nicht allzu ferner Zukunft zu einem massenhaften Zusammenbruch der Imkerbestände kommen, können wir zum Ursprung zurückkehren: Aus dem Wald – wie in früheren Zeiten, aber diesmal in Abstimmung mit den Naturschutzbehörden – gesunde Schwärme zurück in unsere Gärten zu holen. Welch ein Glück! Darum: lassen Sie uns die wild lebenden Honigbienenvölker als Genschatz begreifen, den es lohnt, zu finden und zu schützen!
Literaturverzeichnis
[1] | F. Ruttner, Naturgeschichte der Honigbienen, München: Ehrenwirth Verlag, 1992. |
[2] | S. Mittl, „Apis mellifera und das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) – Ist die Art Apis mellifera (Westliche Honigbiene) ein Wildtier und welche Folgen hätte das für Gesetzgebung und Artenschutz?,“ www.bienen-dialoge.de, Fürth; 8 Seiten;, April 2017. |
[3] | P. De La Rúa, R. Jaffé, R. Dall´Olio, I. Munoz und J. Serrano, „Biodiversity, conservation and current threats to European honeybees,“ Apidologie 40, pp. 263-284, 2009. |
[4] | A. Nieto, S. Roberts, J. Kemp, P. Rasmont, M. Kuhlmann, M. García Criado, J. Biesmeijer, P. Bogusch, H. Dathe, P. De la Rúa, T. De Meulemeester, M. Dehon, A. Dewulf, F. Ortiz-Sánchez, P. Lhomme und e. al., European Red List of bees, Luxembourg: Publication Office of the European Union, 2014. |
[5] | F. D. Stoeckhert, „Die Bienen Frankens,“ Beiheft der Deutschen Entomologischen Zeitschrift Jahrgang 1932, p. 294, 1933. |
[6] | F. K. Stoeckhert, „Fauna Apoideorum Germaniae,“ Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Heft, Heft 65, p. 87, 1954. |
[7] | H. Ruppertshofen, Der Wald summt – Waldimkerei und Waldhygiene, München: Ehrenwirth; 5. Auflage, 1982. |
[8] | I. Fries, A. Imdorf und P. Rosenkranz, „Survival of mite infested (Varroa destructor) honey bee (Apis mellifera) colonies in a Nordic climate,“ Apidologie 37 (5), pp. 564-570, 2006. |
[9] | B. Locke, „Natural Varroa mite-surviving Apis mellifera honeybee populations,“ Apidologie 47, pp. 467-482, 2015. |
[10] | E. T. Rinderer, L. I. de Guzman, G. Delatte, J. Stelzer, V. Lancaster, V. Kuznetsov, L. Beaman, R. Watts und H. J.W., „Resistance to the parasitic mite Varroa destructor in honey bees from far-eastern Russia,“ Apidologie 32, pp. 381-394, 2001. |
[11] | Y. Le Conte, G. de Vaublanc, D. Crauser, F. Jeanne, J.-C. Roussel und J.-M. Bécard, „Honey bee colonies that have survived Varroa destructor,“ Apidologie 38, pp. 566-572, 2007. |
[12] | T. D. Seeley, „Honey bees of the Arnot Forest: a population of feral colonies persisting with Varroa destructor in the northeastern United States,“ Apidologie 38, pp. 19-29, 2007. |
[13] | T. Seeley, D. Tarpy, G. S.R., A. Carcione und D. Delaney, „A survivor population of wild colonies of European honeybees in the northeastern United States: investigating its genetic structure,“ Apidologie 46 (5), pp. 654-666, 2015. |
[14] | I. Fries und S. Camazine, „Implications of horizontal and vertical pathogen transmission for honey bee epidemiology,“ Apidologie 32 (3), pp. 199-214, 2001. |
[15] | T. Seeley und M. Smith, „ Crowding honeybee colonies in apiaries can increase their vulnerability to the deadly ectoparasite Varroa destructor,“ Apidologie 46 (6), pp. 716-727, 2015. |
[16] | J. Evans, „Diverse origins of tetracycline resistence in the honey bee bacterial pathogen Paenibacillus larvae,“ Journal of Invertebrate Pathologie 83, pp. 46-50, 2003. |
[17] | E. Karazafiris, C. Tananaki, U. Menkissoglu-Spirondi und A. Thrasyvoulon, „Residue distribution of the acaricide coumaphos in honey following application of a new slow-release formulation,“ Pest Management Science, pp. 165-171, 2008. |
[18] | L. Burley, R. Fell und R. Saacke, „Survival of honey bee (Hymenoptera: Apidae) spermatozoa incubated at room temperature from drones exposed to miticides,“ Journal of Economic Entomology, pp. 1081-1087, 2008. |
[19] | P. Schmid-Hempel, Evolutionary parasitology: the integrated study of infections, immunology, ecology, and genetics, Oxford: Oxford University Press, 2011. |
[20] | S. Mittl, „Varroa-resistente und gesunde Honigbienen – Plädoyer und Argumente für eine artgerechte Honigbienenhaltung und -zucht,“ www.bienen-dialoge.de, Fürth; 20 Seiten, Februar 2017. |
[21] | A. Vásquez, E. Forsgren, I. Fries, R. J. Paxton, E. Flaberg, L. Szekely und T. Olofsson, „Symbionts as Major Modulators of Insect Health: Lactic Acid Bacteria and Honeybees,“ PLoS ONE 7(3): e33188, 2012. |
[22] | S. Mittl, „Wild lebende und gemanagte Honigbienen und die Amerikanische Faulbrut – damals und heute,“ www.bienen-dialoge.de, Fürth; 8 Seiten, Dezember 2016 – 2. korrigierte Fassung. |
[23] | R. Goodwin, A. Ten Houten und H. Perry, „Incidence of American foulbrood infections in feral honey bee colonies in New Zealand,“ New Zealand Journal of Zoology Vol. 21, pp. 285-287, 1994. |
[24] | M. Hornitzky, B. Oldroyd und D. Somerville, „Bacillus larvae carrier status of swarms and feral colonies of honeybees (Apis mellifera) in Australia,“ Australian Veterinary Journal 73 (3), pp. 116-117, 1996. |
[25] | E. Genersch, „American Foulbrood in honeybees and its causative agent, Paenibacillus larvae,“ Journal of Invertebrate Pathology 103, pp. 510-519, 2010. |
[26] | S. Mittl, „Deutschlands Bienengarten – Ein Beitrag zum Natur- und Kulturschutz – Skizzierung eines Modellprojektes zu Zeidlerei, Bienenforschung, Naturschutz und Umweltbildung im Sebalder und Lorenzer Reichswald bei Nürnberg,“ www.bienen-dialoge.de, Fürth; 30 Seiten, Februar 2016. |
[27] | P. Pohl und B. Rutschmann, „The neglected bee trees: European beech forests as a home for feral honey bee colonies,“ PeerJ 6:e4602 https://doi.org/10.7717/peerj.4602, 2018. |
[28] | S. Mittl, „Deutschlands Bienengarten als LEADER-Projekt – Ein Beitrag zum Natur- und Kulturschutz – Skizzierung eines Grundkonzeptes für ein LEADER-Projekt zu Zeidlerei, Bienenforschung, Naturschutz, Tourismus und Umweltbildung im Sebalder und Lorenzer Reichswald;,“ www.bienen-dialoge.de, Fürth; 45 Seiten, Mai 2017. |
[29] | Bundesministerium für Naturschutz Umwelt Bau und Reaktorsicherheit, „Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG – Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege,“ 29 Juli 2009. [Online]. Available: http://www.bmub.bund.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/natur-naturschutz-biologische-vielfalt-download/artikel/bundesnaturschutzgesetz-bnatschg/. [Zugriff am 7 Mai 2015]. |
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