Heiliger Bien oder Ersatzteillager

Sigrun Mittl, Dip.-Biol., bienen-dialoge.de, Fürth März 2017

(Dieser Artikel ist ein Auszug aus meinem Buchmanuskript „Zukunftsweisende artgerechte Hobby-Bienenhaltung und -Hobby-Resistenzzucht“)

Rudolf Steiner ahnte schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, dass die Richtung der intensiven Bienenhaltung, die er als künstliche Bienenzucht bezeichnete, in eine Sackgasse führt, wenn er formuliert: „Und wir wollen sehen, wie gerade die Bienenzucht außerordentlich interessant ist, um die ganzen Geheimnisse der Natur kennenzulernen, und namentlich wie das, was sich auf der einen Seite ungeheuer fruchtbar erweist, auf der anderen Seite eben zur Abtötung führt. So können sich die Bienenzüchter zwar außerordentlich freuen über den Aufschwung, den seit kurzer Zeit die Bienenzucht genommen hat; aber diese Freude, die wird keine hundert Jahre halten.“ [1]

Gerstung war einer der wenigen, die entgegen aller Besserwisser der damaligen Zeit die heilige Ordnung des Bien verstanden hat. Im Buch „Das Grundgesetz der Brut- und Volksentwicklung des Bien“ von 1902 schreibt er:

„Beim Mobilbau hat der Bienenzüchter immer nur ein Stück des Bienengebäudes in der Hand und vor Augen, die Freude über die bewegliche Wabe hat den Blick abgestumpft für das Beobachten und Begreifen des Gesamtlebens der Bienen; niemand denkt mehr daran zu erkennen und zu begreifen, „wie alles sich zum Ganzen webt, eins im anderen wirkt und lebt,“ vielleicht gilt von der weitaus größten Zahl der jetzigen Imker das andere Wort Goethes: „Die Teile habt ihr in der Hand, fehlt leider nur das geistige Band“. Das hat unendlichen Schaden verursacht und fort und fort bildet diese mechanische Zerstückelung des Bienenorganismus infolge des Mobilbaues, zumal seit der Einführung der so ganz und gar bienenwidrigen sogen. Halbrähmchen, die Quelle für zahllose Irrtümer, Fehler und Versündigungen an dem Bien und auch an dem Vorteil des Imkers. Bisher bestanden und bestehen noch die allerirrigsten Ansichten über die Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Brut- und  Volksentwickelung und des ganzen Bienorganismus. Viele meinen, die Bienenkönigin folge überhaupt keiner Regel, sondern unter souveräner Verachtung aller denkbaren Gesetze gehe sie regellos im Stocke ; umher, um einmal hier, einmal da, wo sie gerade Platz findet und wo es ihr gerade gefällt, Eier abzusetzen; wenn es Honig gebe, so habe sie Lust zum Eierlegen, führe jedoch „Sparhans Küchenmeister“ das Regiment, so höre sie mit Eierlegen auf. Da sie keine Regel in der Eierlage kennen, meinen sie, daß auch der gesamte Brutkörper eilt regelloses Wesen sei. Solche Imker scheuen sich daher auch gar nicht, das Brutnest auseinander zu reißen, die Waben eines Volks miteinander zu verwechseln, oder gar Waben verschiedener Völker untereinander rücksichtslos auszutauschen. Sie betrachten eben das Brutnest eines Bienenvolkes als eine regellose Gruppe von Wachsscheiben, bei der es ganz einerlei ist, wo zufällig die eine oder die andere Wabe hin zu stehen kommt. Es ist das die leider heutzutage so vielfach unter den Imkern verbreitete mechanische Auffassung des Bienenlebens, welche dem wirklichen Bienenleben schnurstracks entgegensteht. Vor Einführung des Mobilbaues erschien das Volk dem Züchter stets wie ein unteilbares Ganzes, als eine unzertrennlich und unauflösbar zusammengehörige Lebenseinheit, als ein lebender Organismus, wie auch die einzelnen Bienenvölker bedeutungsvoll nur „der Bien“ genannt wurden; jetzt ist diese hochwichtige und allein berechtigte Auffassung des Bienenlebens bei gar vielen nur halbgebildeten Imkern, ja, wie wir zu unserem großen Leidwesen haben erfahren müssen, selbst bei den sogen. Koryphäen unter den Bienenzüchtern, verloren gegangen, und dafür jene geistlose Betrachtung und Behandlung des Bienenvolkes getreten, nach welcher das Bienenleben, das Wachsgebäude, die Brutentwicklung als ein willkürliches, regel- und gesetzloses buntes Durcheinander erscheint, bei dem der „hochgelehrte, theoretisch wie praktisch wohlunterrichtete, kenntnisreiche und erfahrene rationelle Imker“ nicht nur das Recht, sondern die Pflicht habe, feine bessernde, ordnende und regelnde Hand anzulegen.“ [2]

Prof. Zander [3] hat schon 1944 auf den bedenkenlosen Umgang mit den beweglichen Rahmen hingewiesen: „Wahl- und gedankenlos hängt man ferner seit der Erfindung des beweglichen Rähmchens die Waben von einem Stock in den anderen. Zwar sieht Linde (1912) darin den Hauptvorzug des beweglichen Baues, bedenkt aber nicht, daß der Wabenbau der Hauptträger der Ansteckungsstoffe ist (s. Bd.I). Daran haften nach Seuchenausbrüchen die Sporen der Schimmelpilze und Faulbrutbakterien, die Dauerformen des Nosemaparasiten. […]. Bei der Kleinheit der Krankheitskeime können Tausende davon, unseren Augen unsichtbar, an den Waben kleben, wenn ohne unser Wissen eine Krankheit auf dem Stande geherrscht oder Schädlinge sich eingenistet haben. Das ist die Schattenseite der beweglichen Wabe, daß sie bei der wahllosen Verwendung die Verbreitung der Bienenseuchen außerordentlich begünstigt. Obgleich es Bienenkrankheiten immer gegeben hat, sind sie für unseren Bienenstand doch erst seit der Erfindung der beweglichen Wabe eine Gefahr geworden. Ihr zu steuern, ist nur möglich, wenn wir uns, wie ich schon im I. Bande eingehend dargelegt habe, dazu entschließen, j e d e s  V o l k  s t r e n g  g e s o n d e r t  z u  b e h a n d e l n  u n d  i h m  n u r  W a b e n,  d i e  e s  s e l b s t  g e b a u t  h a t, o d e r  k ü n s t l i c h e  M i t t e l w ä n d e  z u  g e b e n. D a s  V e r s t ä r k e n  m i t  B r u t  o d e r  B i e n e n  i s t a u s  g e s u n d h e i t l i c h e n  G r ü n d e n  a m  b e s t e n  g a n z  z u  u n t e r l a s s e n (s. S. 99). […]. Leider ist die Imkerschaft zu ihrem eigenen Schaden diesen Forderungen auch heute noch völlig verständnislos gegenüber. E r n i´s Mahnung zu hygienischem Betrieb ist eine Stimme in der Wüste (Schweiz. Bztg. 4, S. 230, 1939)“ [3].

Auch wenn Prof. Zander den Mobilbau als den größten Fortschritt bezeichnet, so ist er doch sehr kritisch, was den Umgang damit anbetrifft:  „[…] muss man doch gestehen, dass gar oft ein Segen daraus weder für die Bienen noch für den Imker erwachsen ist, weil nur die wenigsten Imker mit der beweglichen Wabe umzugehen wissen. Das lebensnotwendige Verwachsensein der Bienen mit Bau und Beute geriet nicht nur in Gefahr, sondern wurde auch gar oft vollständig zerstört, indem man durch naturwidrige Einrichtung der Kästen den Bienen ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Leben unmöglich machte. […]. Es wurde und wird seitdem viel zu viel in den Stöcken herumgewirtschaftet und manches Volk dadurch zugrunde gerichtet. Vor allen Dingen sündigt man an der Gesundheit der Bienen, weil man die Waben sinn- und gedankenlos von einem Stock in den anderen hängt. Wie sehr dadurch den Krankheiten Vorschub geleistet werden kann, lehren Band I und II dieses Werkes. (…) …aber die bewußte Zerstörung der den Beuten mit festem Bau eignen Einräumigkeit setzte doch erst mit dem Aufkommen der Bretterkästen und der beweglichen Wabe ein. (…) Selbst die Trennung von Bau und Beute in Brut- und Honigraum ist der Natur völlig zuwider: Sie kennt nur den u n g e-       t e i l t e n  W o h n r a u m  d e r  B i e n e n. Wenn auch aus wirtschaftlichen Gründen heute auf Brut- und Honigraum nicht verzichtet werden kann, h a t     d o c h  e i n e  w e i t e r e  T e i l u n g  d e s  e i n e n  o d e r  a n d e r e n  A b-         t e i l e s , i m  b e s o n d e r e n  d e s  B r u t r a u m e s, k e i n en  S i n n. “ [3]

In seinem I. Band wird Prof. Zander dann sehr deutlich, wenn er schreibt: „Im übrigen darf man sich der Tatsache nicht verschließen, daß für das erste Auftreten und die Verbreitung der Brutkrankheiten in erster Linie der Imker und nächst ihm in untergeordnetem Maße die Bienen verantwortlich zu machen sind“ [4]. Im II. Band unterstreicht er die Bedeutung der Bienengesundheit: „Gewiss ist die wissenschaftliche Erforschung des Krankheitserregers, seines Verhaltens und seiner Wirkungen im Bienenvolke die erste Grundlage für die Bekämpfung (M o r g e n t h a l e r, 1932), aber mit der Vernichtung der Seuchenerreger allein ist wenig getan, wenn es nicht gelingt, die Abwehrkräfte der Bienenvölker durch planmäßige Zucht und sorgsame, naturgemäße Pflege zu heben. Auch B o r c h e r t (1940) vertrat jüngst die Ansicht, daß es bei der Auswirkung von Schadursachen nicht auf deren Vorhandensein allein ankomme, sondern auch auf die Beschaffenheit des Bienenvolkes“ [5].

Literaturverzeichnis

[1] M. Dettli, Rudolf Steiner – Die Welt der Bienen, Dornach, 2010.
[2] F. Gerstung, Das Grundgesetz der Brut- und Volksentwicklung des Bien, Freiburg i. Breisgau und Leipzig: Paul Waetzel, 6. vermehrte und verbesserte Auflage;, 1902.
[3] E. Zander, Die Zucht der Biene – Handbuch der Bienenkunde in Einzeldarstellungen Band V, Stuttgart: Eugen Ulmer, 1944, 6. Auflage.
[4] E. Zander, Die Brutkrankheiten und ihre Bekämpfung – Handbuch der Bienenkunde in Einzeldarstellungen Band I, Stuttgart: Ulmer Verlag, 1951, 6. Auflage.
[5] E. Zander, Krankheiten und Schädinge der erwachsenen Bienen – Handbuch der Bienenkunde in Einzeldarstellungen Band II, Stuttgart: Eugen Ulmer, 1947, 5. Auflage.

 

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